Dunkelfeuer

Prolog


Ich fühlte mich frei. Frei wie der Wind, der mir in den Ohren rauschte und sich kalt und gleichzeitig prickelnd auf meiner Haut anfühlte. Ich lächelte. Endlich war mein Selbstbewusstsein etwas aufgebaut und ich hatte fast wieder den Punkt erreicht, bevor Aurelius alles zerstörte. Bevor er meine Welt auf den Kopf stellte. Bevor er mir so wehtat. Bevor ich nicht mehr die war, die ich einst gewesen war.

Er war von Anfang an eine Nummer zu groß für mich und außerdem absolut nicht mein Typ. Aus eitlem Stolz heraus versuchte ich, mir das Letztere immer wieder einzureden, um es irgendwann zu glauben. Aurelius hatte tief in mir eine Wunde zurückgelassen, und es gab kein Medikament dagegen, das mich hätte heilen können. Verzeihen kann, muss aber nicht Vergessen bedeuten. Viel zu oft erinnerte mich der bittere Schmerz daran. Ob ich jemals wirklich verzeihen kann? Nach ihm war nichts mehr so, wie es mal war. Immer gab es ein Davor und ein Danach. Ich verdrängte die aufkeimende Niedergeschlagenheit in mir, die mich in der Vergangenheit so oft gefangen nahm. Heute würde sie nicht die Oberhand über mich erlangen. Nicht jetzt. Nicht in diesem Augenblick. Schneller. Ich gab Schenkeldruck, um zum ersten Mal nach so langer Zeit zum Galopp über die unebenen Stoppelfelder anzusetzen. Phoenix` Beine erhöhten schwungvoll und geschmeidig die Geschwindigkeit. Ich hatte den Eindruck, seine Hufe berührten den Erdboden kaum noch. So, als würden wir fliegen. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Nach dem rasanten Ritt ging es im gemächlichen Schritttempo durch den Wald. Ich schloss die Augen. Behutsam beugte ich mich vor und schmiegte das Gesicht an seinen schneeweißen Hals und in die weiche Mähne. Dabei gab ich dem Araber-Wallach mehr Zügel. Meine Arme hingen locker zur Seite. Völlig entspannt atmete ich tief ein. Ich roch den mir so vertrauten typischen, würzigen Pferdegeruch, gemischt mit der frischen Luft des Waldes. 

In der Ferne zwitscherte ein Zaunkönig. Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Endlich sind wir frei. Wie klischeehaft. Ich weiß. Dabei war ich kein Fan von Klischees, besonders dann nicht, wenn es um Pferde oder mich ging. Aber ich konnte mich und die Leidenschaft in mir spüren. Ich war wieder ich selbst. Ich war Marie. Die Marie, deren Herz für Pferde schlug. Ich musste schmunzeln. Die absolute Leichtigkeit des Seins. Als ich die Augen öffnete, richtete ich mich im Sattel langsam wieder auf. Ich bemerkte, dass ich die Zeit vollkommen vergessen hatte. Die Sonne ging allmählich unter und tauchte den Wald in orangenes Licht. Ich trieb Phönix voran. Es war Zeit für den Heimweg in mein altes, neues Leben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass ich von ihm beobachtet wurde ...


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